Kompetenzen nach de Haan

Kompetenzförderung

Kompetenzförderung heißt – auch im Sinne moderner Bildungspläne der unterschiedlichen Schularten – dass es in organisierten Lernprozessen in Zukunft wichtiger wird darauf zu achten, was die Lernenden können und es eher sekundär wichtig ist, was sie wissen. Wissen im Sinne der Expertiseforschung von Elsbeth Stern (2003b) ist ein Schlüssel zum Können. Daher sind beide Aspekte von Lernprozessen untrennbar verbunden. Können schafft Wissen, nicht aber unbedingt umgekehrt und damit ist diese Priorisierung zu begründen. Eine Veranstaltung im Sinne der BNE muss neben der Vermittlung von Fachwissen, auch die Förderung von Gestaltungs- und Schlüsselkompetenzen beinhalten. Dabei müssen in einer Veranstaltung [39]  nicht sämtliche Kompetenzen abgedeckt sein.

 

Die zwölf Kompetenzen der BNE (n. Haan et.al. 2008)

Um die Aspekte der Nachhaltigkeit umzusetzen, somit die Ziele der BNE zu erreichen, wurde vom Nationalkomitee der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung (2005-2014) ein Katalog von zwölf Gestaltungskompetenzen definiert:

 

Sach- und Methodenkompetenz:

  1. Weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen.
  2. Vorausschauend denken und handeln.
  3. interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen.
  4. Risiken, Gefahren und Unsicherheiten erkennen und abwägen können.

Sozialkompetenz:

  1. Gemeinsam mit anderen planen und handeln können.
  2. An Entscheidungsprozessen partizipieren können.
  3. Sich und andere motivieren können aktiv zu werden
  4. Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen können.

Selbstkompetenz:

  1. Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können.
  2. Selbstständig planen und handeln können.
  3. Empathie und Solidarität für Benachteiligte zeigen können.
  4. Vorstellungen von Gerechtigkeit als Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen nutzen können.

 

In einem gemeinsamen Workshop von Waldpädagogen unterschiedlicher Fachkompetenzen wurde die elfte Kompetenz modifiziert zu „Einfühlungsvermögen und/oder Eintreten für andere, Verantwortung für die Natur zu zeigen.“ Eine weitere Kompetenz wurde für nötig erachtet: „sich selbst und seinen Körper wahrnehmen können“ (nach Dobler & Vogl, 2008).

 

Alle Teilkompetenzen nach de Haan sind [40] Operationalisierungen von Grundbedürfnissen und humanistischen Werten, die etwa so lauten könnten:

  1. Offen sein für eine wunderbare Welt, andere Menschen und Kulturen. Es lohnt sich neue Perspektiven ein zu nehmen und von anderen Sichtweisen zu lernen. Die eigene subjektive Weltsicht erweitern und eventuell andere Sichtweisen in das eigene Weltbild zu integrieren ist ein wertvoller individueller Lernprozess, der in der Lage ist die Welt im Kleinen zu verändern

  2. Menschen, die bewusst leben, wollen über den Moment und die Notwendigkeiten des Alltages vorausschauend denken, um in der Gegenwart und der Zukunft handlungsfähig zu sein. Menschwerdung und Kulturschaffung war immer nur möglich, weil die Menschen auch die Zukunft bedacht und handelnd für sich und andere vorgesorgt haben.

  3. Menschen sind neugierig und wollen die Welt erkunden. Daraus entstanden Weltwissen und Wissenschaften. Denkende Menschen – Homo sapiens - wollen Grenzen überschreiten und neue Erkenntnisse über sich selbst und die Welt gewinnen und handlungsfähiger werden. Fachdisziplinen entstanden aus dem Bedürfnis Ordnung und Strukturierung. Fachgrenzen sind künstliche, von Menschen gemachte Grenzen, die die Natur nicht kennt. Echte Problemstellungen, wie sie das Leben stellt sind immer interdisziplinär.

  4. Menschen suchen immer nach einem Gleichgewicht aus Sicherheit und Risiko. Das Gefühl von zu viele Gefahren umgeben zu sein, schafft Angst - und Angst lähmt. Sicherheit macht faul und Unsicherheit regt an. Neugierde sucht nach Neuem und schafft neues Wissen und Können. Ein Fundament aus Sicherheit, schafft den Mut Unsicherheiten auszuhalten und auch Risiken abwägend einzugehen. Im dynamischen Gleichgewicht aus derartigen gefühlten Grundtendenzen entsteht ein anregendes Lebensgefühl. Leben ist sozusagen wie Autofahren, das geht nur mit Bremse und Gas.

  5. Menschen sind Individuen und Gemeinschaftswesen. So wie es aussieht haben Menschen immer in Gruppen gelebt. Sie wollen und können alleine, aber auch gemeinsam mit anderen planen und handeln. Nackter Egoismus war schon immer zum Scheitern verurteilt. Gemeinsames Schaffen und persönliche Erfolge verschaffen Glücksgefühle. Menschliche Gemeinschaften setzen sich stets aus unterschiedlichen Wesen zusammen. Jeder hat seinen Wert und seine Begabungen. Jeder kann eine Rolle in und für die Gemeinschaft übernehmen. Menschen wollen an Entscheidungsprozessen partizipieren können. Teilhabe, Partizipation, im Sinne von Demokratie, ist ein menschliches Grundbedürfnis.

  6. Gerade weil Partizipation ein menschliches Bedürfnis ist deshalb ist es auch bedeutsam, dass Entscheidungen von vielen getragen werden. In der Regel fühlen sich selbstbestimmte Menschen wohler als wenn sie unter Fremdbestimmung stehen. Natürlich können Individuen in menschlichen Gesellschaften nie völlig autonom für sich entscheiden. Stets sind sie gebunden an Rahmenbedingungen, die das Leben, die Gesellschaft setzen. Trotzdem hat jedes Individuum Freiheitsgrade und wer diese nutzt, wird feststellen, dass Grenzen erweiterbar sind (s. Bd I TZI, Kap. 4.8).

  7. Sich selbst und andere motivieren können, um aktiv zu werden, auch dann, wenn es nicht lustvoll oder erfolgversprechend ist, ist die hohe Kunst des Lebens und Lernens. Sich und andere motivieren, auch wenn nicht sofort eine Belohnung in Aussicht ist, ist ein Motor der Entstehung von Kulturen und von persönlichen Karrieren [41] . Menschliche Motive aktivieren sich von alleine nach dem Lust-Unlust-Prinzip. Sie können aber auch bei sich selbst und bei anderen aktiv geweckt werden. Auch das Erfolgs-Misserfolgs-Prinzip wirkt ungeheuer aktivierend. Auch eine extrinsische Motivation kann zur intrinsischen werden (Band I, Kap. 4.4).

  8. Konflikte sind für Individuen und Gruppen normale Lebenserscheinungen – auch wenn sie meist störend erscheinen. Sie sind anstrengende, aber wertvolle Lern- und Lebenserfahrungen. Konflikte aushalten und durchstehen muss gelernt werden und dies fällt leichter, wenn diese als hilfreich bewertet werden. Insbesondere eine Kultur der Nachhaltigkeit, die gleichwertiges Berücksichtigen der unterschiedlichsten Dimensionen und Interessen erforderlich macht, schafft neues Konfliktpotential. Zielkonflikte machen die Reflexion der Strategien des Handelns erforderlich. Unterschiedliche Ziele und Bedürfnisse zu berücksichtigen ist kompetentes Handeln. Reflexionen, am besten gemeinsam, fördern zielführende Handlungsstrategien. BNE schließt Friedens- und Demokratieerziehung ein, und dafür ist diese Kompetenz von besonderer Bedeutung.

  9. Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens bewusst und unbewusst individuelle Leitbilder. Daraus entstehen unterschiedliche Lebensformen und Kulturen mit ganz besonderer Eigendynamik. Diese zu reflektieren setzt voraus die eigenen Werten und Wertvorstellungen zu erkennen, die Besonderheiten wahr zu nehmen und schätzen zu lernen. Auf dieser Basis kann auch die Begegnung mit fremden stattfinden. Eigene Leitbilder und die anderer zu reflektieren, langsam akzeptieren zu lernen und ggf. teilweise auch integrieren zu können, ist bildend und bewusstseinserweiternd. In einer globalisierten Welt ist diese Kompetenz notwendig.

  10. Menschen haben schon immer das Bedürfnis gehabt etwas Eigenes zu schaffen. Können sie diese Dimension nicht leben, dann verkümmert etwas Kreatives und Konstruktives in ihnen. Sie brauchen es, um sich und ihre Persönlichkeit vollständig leben zu können, sich selbst in ihrem Handeln und in ihren Werken zu spüren. Individuelle und gemeinsame Leistungen sind Beiträge zur Entstehung und zur Pflege der Kulturen. Selbstständig planen und handeln und damit die Welt gestalten ist ein menschliches Grundbedürfnis, das gehegt und gepflegt werden muss, damit es sich vollständig entwickeln kann.

  11. Jeder Mensch möchte, dass ihn andere verstehen. Sich in Andere hinein versetzen und dadurch verstehen zu lernen, nennt man Empathie. Dies ist für viele Menschen schwer und bei manchen Menschen besonders schwierig. Gelungene Empathie setzt ein Stück weit auch voraus, dass der andere verstanden werden will und sich auch ein Stück weit öffnet, sozusagen die anderen hineinschauen lässt. Empathisches Handeln ist möglich, lern- und trainierbar, aber auch ganz stark von einer gemeinsamen emotionalen Basis abhängig. Empathie hat viel mit sich selbst verstehen und sich auf andere einlassen zu tun. Einfühlendes Handeln erklärt sich solidarisch mit anderen Menschen aus dem Gefühl heraus diese, deren Anliegen und Bedürfnisse zu verstehen und ernst zu nehmen. Insbesondere die Benachteiligten der Gesellschaft, manchmal aber auch Tiere und die Natur, brauchen Solidarität. Empathisches Handeln heißt auch Verantwortung für Andere bzw. für die Natur zu übernehmen.

  12. Jeder Mensch hat Vorstellungen von dem, was er für gerecht hält. Diese Vorstellungen sind nicht gleich, sondern stark von der sozialen Situation und der Kultur abhängig. Alle wollen gerecht behandelt werden und daher eigentlich auch gerecht handeln. Das Grundprinzip des Kant´schen kategorischen Imperatives[42]<//font> ist ein Regulativ der menschlichen Gesellschaften. Vorstellungen von Gerechtigkeit, auch unterschiedliche, können für Entscheidungen und als Handlungsgrundlage genutzt werden. Gerechtigkeitsvorstellungen zwischen „allen das Gleiche“ und „jedem das Seine“ sind häufig Vorstellungen zur Verteilungsgerechtigkeit. Fragen der Menschenrechte und der bürgerlichen Grundrechte gehören ebenfalls in dieses Feld.

  13. „Sich selbst und seinen Körper wahrnehmen können“ geht als Kompetenz nicht auf de Haan zurück, sondern wurde von einer Arbeitsgruppe erfahrener Waldpädagogen angefügt (nach Dobler & Vogl, 2008). Im Sinne einer personellen Selbstkompetenz ist diese gerade für dieses Arbeitsfeld besonders wichtig. Menschen sammeln mit sich selbst Erfahrungen und erweitern dadurch ihr Selbstkonzept. Gerade in der Arbeit mit Kindern sind solche Erfahrungen für die weitere Entwicklung bedeutsam. Menschen können im Spiegel der Natur ein neues, ein modifiziertes Bild von sich selbst erfahren. Sie können z.B. entdecken, dass es schön ist mit Matsch zu spielen, dass die Natur nicht nur bedrohlich, sondern auch wunderschön sein kann. Sie können durch Naturerfahrungen ihre Persönlichkeit weiter entwickeln.

 


[39] Natürlich ist es dabei bedeutsam, ob es sich um eine Kurzzeitveranstaltung von wenigen Stunden oder um ein Ferienprogramm von gar mehreren Wochen handelt.

[40] nach der Einschätzung der Autoren  

[41] Psychologen sprechen vom Delay of Gratification, also von der Verzögerung der Belohnung. Ein Steinzeitjäger, der ein Wisent tagelang verfolgte musste lange hungern bis er und seine Sippe sich satt essen konnte. Wenn z.B. eine Schülerin Ärztin werden will, dann muss sie sich bis sie Fachärtzin ist, bald 20 Ausbildungsjahre mit Zeugnissen und kleinen Zwischenerfolgen zufrieden geben.

[42] „Handle nur nach derjenigen Maxime, du rch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (Kant, I. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785) Im Prinzip steht auch dahinter das christliche Liebesgebot: „liebe deinen Nächsten, wie dich selbst“ (Markus 12, 29). Beides sind alltagspraktische Regeln für menschliches Verhalten in der Gesellschaft. Beide wollen die individuellen und die gemeinschaftlichen Interessen, auch im Sinne von Gerechtigkeit, zum Ausgleich bringen und sind damit ethische Grundlagen und kulturelle Errungenschaften des christlichen Abendlandes